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Archive for the ‘Portraits’ Category

Fabian M. Müller

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Der Goalie: Ihm sagt man ein gewisses Einzelgängertum nach, eine spezielle psychische Austattung.

Dass nun einer als Bub davon träumt, Goalie zu werden und schliesslich als Pianist Karriere macht, kommt sicherlich nicht all zu oft vor. Aber vielleicht doch häufiger als man denkt. Je länger ich mich mit Musikerpersönlichkeiten beschäftige, desto mehr schälen sich gewisse Muster heraus, die ich amüsant und interessant finde: Musiker – Grafiker – Fussballer – Lehrer, diese doppel oder dreifach Besetzungen sind mir jetzt schon mehrmals unter gekommen. Nicht, dass ich da nun irgendwelche Theorien entwickeln möchte, aber es liesse sich durchaus einmal darüber nachdenken, wo die Überschneidungen zu finden sind, oder was diese Berufsziele über das männliche Selbstverständnis aussagen.

Jedenfalls ist da nun dieser Fabian Müller, der gleich drei der oben genannten Stationen durchlief: vom Goalie zum Lehrer und schliesslich zum Musiker. Sein Werdegang beeindruckt mich, obwohl er ihn als eher normal und unspektakulär hinstellt. Nun, all zu gewöhnlich ist ein solcher Lebenslauf meines Wissens nach nicht. Dass sich ein junger Mann, der eigentlich davon träumt, künstlerisch tätig zu sein, für den Lehrerberuf entscheidet, ist sicherlich nichts Besonderes. Auch nicht, dass man über die jungendliche Begeisterung für Hip Hop, zu Jazz gelangt und sich in diese Musikrichtung vertieft. Was aber besonders ist und schon fast etwas befremdend: mit zweiundzwanzig den Entschluss zu fassen, seinen Alltag von nun an selbst zu bestimmen, sich ganz der Musik zuzuwenden und dass sich aus diesem Entschluss auch in relativ kurzer Zeit eine erfolgreiche Musiker-Karriere entwickelt. Auch nicht selbstverständlich ist es – jedenfalls in der Jazzszene nicht,  diesen Weg ohne spezifische Ausbildung in Angriff zu nehmen. Auch wenn er vehement verneint Autodidakt zu sein, da er über viele Jahre den klassischen Klavierunterricht besuchte und die Ausbildung zum Lehrer viel Musikwissen beinhaltet. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass er sich die Technik und seinen Zugang zu Musik auf seinem Instrument zum grossen Teil selbst erarbeitet hat. Er erzählt, wie er sich Tagespläne zusammengestellt hat, die er aber dann doch nicht einhielt, da ihm acht Stunden Üben am Tag schlicht nicht zusagten. Im Gespräch mit ihm fällt oft das Wort „Lust“: Keine Lust mehr gehabt, von jemanden seinen Tagesablauf auferlegt zu bekommen, Lust darauf gehabt dies und das auszuprobieren, mit anderen Musiker zusammenzuspannen, ein Solo-Werk zu schaffen, sich mehr der Filmmusik zuzuwenden etc.. Er erzählt das alles so, als sei dies eben das Selbstverständlichste der Welt. Selbstverständlich, dass er mit seinem FM Trio bereits im Ausland Erfolge verbuchen konnte, selbstverständlich, dass er sich mit einem Berlin-Stipendium daran machte ein Solo-Werk zu schaffen, welches die Fachpresse mehrheitlich begeistert aufnahm, selbstverständlich seinen Lebensweg so zu gehen, wie er das als richtig empfindet, ohne sich von den allgemeinen Vorgaben und Konventionen einschüchtern zu lassen. Und das wirklich Besondere daran ist, dass er dies ohne die Attitüde der Rebellion, oder Verweigerung tut. Ich denke wieder an den Goalie, der sich anders als seine Mitspieler auf dem Feld bewegt, der wartet, dann agiert, dessen Timing alles entscheidend ist, der sich auf seine Reflexe und seinen Instinkt verlässt – der Goalie, der nur besteht, wenn er in einer Gemeinschaft unabhängig bleibt.

Auf seine Solo-Platte Monolog, die er dieses Frühjahr auf Unit Records veröffentlicht hat, bin ich eher durch Zufall gestossen. Ich bin mit diesen reinen Jazz-Geschichten oft überfordert: zu abstrakt geht es mir da zu und her, dann wiederum ist es mir zu sehr der Virtuosität verpflichtet, oder dem Süffigen und meistens habe ich das Gefühl einfach nicht draus zu kommen, weil mir die Bildung dazu fehlt. Da ich wenigstens bei der Musik finde, ich will mich damit beschäftigen, weil ich Lust darauf habe, verpasse ich das meiste, was an Jazz Platten auf den Markt kommt. Dem Zufall also ist zu verdanken, dass ich diese CD abspielte und zu meiner Verwunderung nach sehr kurzer Zeit einen Zugang fand. Dabei sind die Kompositionen weder durchgehend melodiös, noch besonders einfach in ihrer Struktur. Oft ist die Musik aufs Nötigste reduziert, manchmal durchaus verwirrend, manchmal der reine Wohlklang. Wie auch immer; sie sagt mir was, berührt, macht Gänsehaut – die Zeiger meiner eigenen Qualitätsparameter schnellen hoch. Nach dem Gespräch und dem Konzert wird klarer, warum mir diese Musik gefällt. Man hört beispielsweise die Hip Hop Affinität immer noch heraus, wenn er im Innenleben seines Flügels rumexperimentiert und Beats produziert. Das irritiert das geschulte Jazz-Publikum ein wenig – mich macht es lächeln. Die Idee einen Beat zu schaffen, der nur von der Klangästhetik lebt, weil da nicht viel an Virtuosität  und Überlagerungen möglich ist, da er mit einer Hand gespielt wird, finde ich bestechend. Diese Art, wie er sich in Klangmalereien verliert, wie man ihm quasi beim musikalischen Denken zuhören kann, zuhören kann, wie er sich von einer hübschen Melodie in die Monotonie flüchtet, sich darin vergräbt, um plötzlich wieder daraus auszubrechen, wie er einen, so kommt es mir jedenfalls vor, seine Musikwelt sorgfältig aufschlüsselt und einen nie hängen lässt in einer Steilwand. Mir gefällt das, ich versinke in der Musik und habe einen halben Herzinfarkt, als am Konzert eine Flasche zu Boden poltert. Das ist ein gutes Zeichen, das heisst, dass ich nicht am Denken und Analysieren bin, das heisst, dass ich ganz und gar eingetaucht bin, und die Welt wieder einmal für einen kurzen Moment zu existieren aufgehört hat. „Meine“ gute Musik muss genau das können.

 

Written by lottimoa

August 8, 2011 at 6:30 pm

Veröffentlicht in Musik, Portraits

Amygdalaproject

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Es gab Zeiten, da waren die Begriffe Konzept und Projekt im Zusammenhang mit Kunst gern gehörte und erwähnte Schlagworte. Bis die ersten Feuilleton-Autoren darauf aufmerksam machten, dass hier eine Generation im Projekte-Übereifer unterwegs war. Niemand war mehr am Arbeiten, alle waren damit beschäftigt, das neuste Projekt auf die Beine zu stellen, oder wenigstens davon zu reden. Alles und jedes war ein Projekt, allerlei noch so abstruse Konzepte wurden umgesetzt – man war deswegen bald einmal etwas übersättigt. Die Begriffe sind momentan nicht sehr in Mode. Lieber betonen Künstler, dass eben kein Konzept hinter ihrem Projekt stecke, dass es in dem Sinne auch gar kein Projekt sei – mit Anfang und Ende, sondern eher eine Momentaufnahme im Fluss ihres Schaffens. Gerne ist die Kunst einfach so entstanden; Prozess ist vielleicht das heutige Schlagwort.

Irgendwie tut es da richtig gut, zweien zu begegnen die sagen: Ja, total Konzept. Wir haben uns folgendes überlegt und so sieht jetzt – nach dem Ausprobieren, Rumtüfteln, Aufsetzen und Verwerfen, die Umsetzung aus. Und ja: es ist unser gemeinsames Projekt.

Die zwei sind Nicole Pfister und Lukas Thoeni. Sie ist Multimedia-Künstlerin, er Trompeter, und zusammen führen sie das Label A NUK . Die beiden haben sich vorgenommen, Musik und bildende Kunst konsequent in Zusammenhang zu stellen. Sie wollen auf ihrem Label A NUK die zwei Kunstformen gleich stark vertreten wissen. So, wie sie das bei Amygdalaproject, ihrer ersten gemeinsamen Veröffentlichung umgesetzt haben, wo sich der visuelle Auftritt im gleichen Zug mit der Musik entwickelt hat. Die Gestaltung der CD-Hülle beispielsweise wurde nicht in einem zweiten Schritt auf die Musik folgend ausgeführt, sondern sie entstand gleichzeitig mit den Kompositionen. Die zwei Kunstschaffenden stehen in ständigem Austausch, und dieser Austausch zieht sich hin bis zu den Visuals am Konzert, wo Musik und Bild in einem live Setting aufeinandertreffen. Das ist an sich nichts Neues, es gab schon immer die Plattenhüllen und CD-Booklets, die für sich Kunstwerke waren, oder die Konzerte, wo die Projektionen das musikalische Erlebnis intensivierten. In Zeiten, wo die physikalischen Tonträger eher einen schweren Stand haben, lassen aber viele Bands der visuellen Umsetzung ihrer Musik wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen. Als Musikhörerin, die wegen ihres permanent eher schlecht informiert-seins durchaus eine Plattenhülle entscheiden lässt, ob die dazugehörende Musik nun ein Ohr bekommt oder nicht, kann ich solches nur begrüssen. Dazu kommt, dass es einfach schön ist, zu einem Tonträger auch etwas zum Lesen, oder Anschauen zu bekommen.

Die Idee zum Amaygdalaproject  kam Lukas Thoeni beim Lesen eines Artikels über die Gehirnforschung. Was im allgemeinen an der aktuellen Gehirnforschung besonders gefällt ist, dass sie den freien Willen zu relativieren scheint. Das nimmt uns etwas aus der Verantwortung. Wir stellen fest, dass wir zu einem nicht geringen Teil noch regelrechte Dinosaurier sind: Fressen, Paaren, Schlafen – auch wenn die kulturellen Schnörkel, die darüber liegen das ursprünglichste Motiv nicht mehr so klar erkennbar sein lassen. Jedenfalls ist die Amygdala ein Teil unseres Gehirns, der zwischen unserem Dino-Gehirn und dem evolutionär gesehen neueren Primaten-Gehirn liegt und sie dient als Schaltstelle dazwischen. Sie ist primär für die Angst verantwortlich – unsere Alarmanlage, die blitzschnell funktioniert. Sie bearbeitet allerlei Sinneseindrücke und verknüpft sie mit Emotionen, wägt so ab, wie wichtig ein Eindruck für uns ist und ob er allenfalls gespeichert sein sollte, und sie lässt uns schliesslich auf gewisse Schlüsselreize ziemlich dino-mässig reagieren: Panik, Aggression oder auch der Sexualtrieb können durch sie beeinflusst sein.

Es ist also ein gut gewählter Aufhänger, wenn man sich mit Emotionen beschäftigen will. Mit starken Eindrücken, die unseren Puls in die Höhe schnellen lassen und unser schickes Grosshirn erst einmal auf Pause stellen. Nach dem Lesen des Artikels reifte bei Lukas Thoeni die Idee heran, Emotionen in Musik und Bild umzusetzen.

Dazu hat Nicole Pfister die Musiker der Band nach besonders eindrücklichen Erlebnissen befragt, diese Geschichten aufgeschrieben und in Bilder umgesetzt. Lukas Thoeni komponierte ausgehend von den Texten die Musik. Aus beidem ist etwas Eigenständiges geworden, das aber auch im Zusammenhang funktioniert. Lukas Thoeni komponiert und spielt einen Jazz, der leicht zugänglich, aber nie anbiedernd ist. Stilistisch breit gefächert, spielt er locker wie es scheint mit den verschiedensten musikalischen Einflüssen. Ganz klar profitiert das Projekt von den glänzenden Musiker, die wohl noch zum Nachwuchs gehören, aber ihren eigenen Klang längst gefunden haben – so wirkt es nie beliebig. Man hört nicht irgendeinen Schlagzeuger sondern Rico Baumann und nicht irgendeinen Pianisten, sondern Beni Külling, ebenso bei Nikolai Karagorgiev an der Gitarre und André Pousaz am Bass. Das funktioniert live, wie ab Konserve. Spannend ist auch die visuelle Umsetzung, sei es bei den Live-Visuals, die Nicole Pfister sehr ruhig gestaltet, so dass sie nicht mit der Musik konkurrieren, oder beim Booklet, das die Musiker in schwarz-weiss Aufnahmen zeigt, die mit Illustrationen versehen sind. Weiss man, dass dahinter jeweils Erlebnisse der Musiker stehen, gleicht es schon einem Bilderrätsel: Was zum Geier hat Beni Külling da erlebt, wie geht es dem Herzen von Rico Baumann, und was hat es mit dem Spielplatz im Dazwischen von André Pousaz auf sich?

Nicole Pfister und Lukas Thoeni ist eine schöne Arbeit gelungen, die in ihrer klaren Ausrichtung ein in sich geschlossenes Ganzes bildets, dabei aber immer sinnlich und kreativ bleibt.

Written by lottimoa

März 2, 2011 at 5:54 pm

Veröffentlicht in Musik, Portraits

Gerade heraus und um hundert Ecken: King Pepe

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King Pepe – ich weiss nicht recht. Ich weiss nicht, warum ich den eigentlich dermassen gut finde.

Er kann wirklich nicht besonderes gut singen. Er spielt ein paar Instrumente, aber auch gerade mal so. Er schreibt geniale Liedtexte, aber die darf man nicht so genial finden, weil es ihm lieber wäre,  man würde die Musik als Ganzes hören und gar nicht so sehr auf die Texte achten. Er schreibt Songs, die musikalisch alles haben, was es braucht. Nur; diese Tierpark-CD ist ein kleiner Höllenritt durch Stile, Instrumentierungen, Stimmungen und so weiter. Ich bin am Anfang der CD und gerade noch damit beschäftigt, mich über den Grössenwahn des King Pepes zu amüsieren: Aha! Lustig; verspielte Musik und witzige Texte, denke ich. Um nicht viel später, im Song Gebei zu landen, der wirklich nur tiefsinnig, schwermütig und musikalisch schlicht schön ist – das Grinsen verliert sich im Gesicht, und der lange Melancholie-Blick stellt sich ein. Danach klingt es schräg-kitschig und spätestens jetzt bin ich verunsichert; ist das jetzt eines der schönen, das lediglich etwas in die Hosen gegangen ist? Der Text changiert zwischen intimem Bekenntnis und subtiler Verarschung. So geht es weiter; eine regelrechte Berg- und Talfahrt, oder ein krass abgedrehtes „Rösslispüu“.

Und auch wenn er das nicht gerne lesen wird: Zuerst waren es die Texte, die mich mit ihren kuriosen Wendungen und der irgendwie eleganten Plattheit begeisterten. Zum Beispiel das „Lumaudilüta“. Eine Textzeile, die auf den ersten Hörgang absolut banal ist, die aber mit der stetigen Wiederholung plötzlich endlos viel erzählt: „Lu mau di Lüt a“ wird zu: „Lüt mau dene Lüt a“, wird zu: Nimm mal deinen Blick vom Trottoir, und schau Dich um Himmels willen in der Welt um, und die Menschen an, und am besten rufst du diese Menschen hier mal an, oder redest halt einen Satz mit denen. Das Tolle ist; es ist ja nun absolut nicht klar, dass King Pepe nur im entferntesten einen ähnlichen Gedankengang hatte beim Schreiben. Vielleicht redet er vom leicht abschätzigen: Jesses, jetzt guck dir mal diese Idioten an, denen müsste man die Meinung mal richtig durchgeben. Oder er sagt einfach: Lu mau di Lüt a – Punkt, aus. Und er hat natürlich recht: die Texte würden ohne die Musik nie und nimmer funktionieren. sie wären gar nichtsagend. Nur zusammen mit der Musik entstehen diese Geschichten, Bilder und Stimmungen. „Tierpark“ ist eine CD, die ein wenig sperrig daher kommt, die man nicht so recht einzuordnen weiss, die einem aber irgendwie bei Stange hält – lange genug, dass das ganze Panoptikum sichtbar wird. Und ja, es ist eine seltsame Welt in der King Pepe lebt. Eine Welt gefüllt mit ausgestopften Tieren und Erinnerungen, verschlingenden Sehnsüchten, morbiden Fantasien, ironischen Seitenhieben und einem scheinbar beträchtlichen Hunger nach Liebe und Körperlichkeit. Denn eigentlich – und das habe ich mich im Interview einfach nicht getraut zu fragen –  scheint mir, dass ein grosser Teil der Liedschreiberei von King Pepe darauf zielt, eine Frau zu verführen. Und zwar nicht Frauen im allgemeinen, sondern es entsteht ein Bild von der Einen, der Einzigen, der Königin, und es bleibt zu hoffen, dass die Gute schon längst die Hirschgeweih-Krone montiert hat und mit ihm durch den Tierpark spaziert, den Kater an der Leine. So viel Eigensinn – so viel eigener Sinn müsste doch Betörung genug sein. Vielleicht ist das aber auch wieder eine der Überinterpretationen, wozu die King Pepe Texte geradezu herausfordern. Vielleicht kommt dieses Bild nur, weil mein Frauengehirn nicht anders kann (Tierpark wird aber auf jeden Fall in meine Bibliothek der besten Liebeslieder aufgenommen) und die Männer denken beim Hören in ganz andere Richtungen – es ist selbstverständlich davon auszugehen. King Pepes Spiegelkabinett ist also eines, in dem jeder und jede etwas anderes sieht, respektive hört. Und deshalb ist die King Pepe Welt nicht nur eine seltsame, sondern auch eine äusserst weltoffene, den Menschen zugewandte, vielseitige, versöhnliche und leichtfüssige.

Nun ist es aber so, dass es den King Pepe eigentlich gar nicht gibt. Er ist eine Erfindung von Simon Hari. King Pepe ist zwar viel berühmter als sein Erfinder und schöner, mit mehr Muskeln und Grips, gleichzeitig ist er aber auch viel blöder – ein bedauernswerter Wicht, eine verlorene Seele im besten Fall. Nur, was haben die zwei eigentlich miteinander zu schaffen? Simon Hari weiss es selbst nicht so genau. Der ist halt da, dieser King Pepe und macht es durchaus etwas einfacher, diese Lieder der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es ist auf jeden Fall immer ein Stück (manchmal zwar nur ein muntzig kleines) Simon Hari in diesem King Pepe. Starke Texte auf Mundart sind eine rare Angelegenheit und bis King Pepe kam, fehlte es dem modernen schweizerdeutschen Liedgut im Grossen und Ganzen an Direktheit. Ich weiss jetzt auch haargenau, was mir so gefällt an Pepes Tierpark: es ist diese wunderbare Vermählung von direkt und indirekt. Simon Haris Lieder sind immer um mehrere Ecken gedacht, das lässt sie so vielschichtig werden, so offen für Interpretationen. Sie beschäftigen sich mit den grossen Themen, dem Tod, der Liebe, dem Hass, der Sehnsucht zum Beispiel. Diese Themen sind aber immer gut verkleidet, schimmern höchstens zart durch, sie werden nie definitiv abgehandelt sondern als Ideenanstoss in den Raum gestellt. Direkt hingegen ist die Sprache: Einfach und gerade heraus, ohne Schnörkel, ohne drum rum Gerede – er nennt die Dinge beim Namen. Eine so komplexe Gedankenwelt, einen so quecksilbernen Geist in diese simple, lustige und lustvolle Form zu bringen, ist beeindruckend, aber es ist vor allem dermassen gut!

 

 

Written by lottimoa

März 2, 2011 at 5:43 pm

Veröffentlicht in Musik, Portraits

Jacqueline, Jacoba, Jakob, Mizz Jack, Jackie O, Jack Torera, Jackie Brutsche oder die Frau mit den vielen Talenten

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Es gibt Menschen, die haben nicht das Bedürfnis nach doppelten Böden und Fangleinen. Solche Menschen wissen um die Zerbrechlichkeit der Dinge und sie wissen, dass es nichts dagegen auszurichten gibt. Lernt man das früh im Leben, macht einen das sehr wahrscheinlich ein wenig einsam, aber es macht einen auch immun gegen die falschen Versprechen vom Schein und Konsens. Es schützt einen davor, das Leben als eine Vorlage zu sehen, zusammengesetzt aus Bildern aus TV und Werbung, die es möglichst gut auszumalen gilt, und dann daran zu leiden, dass dieses Ausmalen irgendwie langweilig, leer und alles andere als erfüllend ist. Es gibt Menschen, die verstehen, dass es aber auch nicht damit gemacht ist, gegen diese Bilder zu agieren und sie einfach ins Gegenteil zu kehren, weil man in diesem Gegenteil genau so gefangen ist, sondern, dass es darum geht, auszuprobieren und mit dem, was man gerade hat, etwas anzustellen. Egal was. Jackie Brutsche ist ein solcher Mensch. Und sie hat sich mit ihrer Unabhängigkeit und diesem Ausprobieren zu einer eigenständigen und unverwechselbaren Künstlerpersönlichkeit entwickelt. In ihrem Werdegang fügt sie ein Film-Studium an eines in Mode-Design, um schliesslich als Bühnenkünstlerin für Furore zu sorgen. In den beiden Studiengängen eignete sich Jackie das Handwerkszeug an, mit dem sie nun ihre Bühnenshows unterfüttert, sei es als Front-Frau von der Band the Jackets oder als Akteurin in ihrem Theater-Stück die Schnauzprinzessin.

Es ist ihr erstes Solo-Stück, das sie zusammen mit Chris Rosales geschrieben hat, und es unterhält durch Tempo, Witz und dem sicheren Gespür für Klang und Rhythmus. Erzählt wird die Geschichte von den möglichen Auswirkungen, wenn die, den Hochglanz-Postillen entnommenen Träume von Erfolg und Ruhm, plötzlich Wirklichkeit werden. Es ist als erstes ein kritischer, zynischer und liebevoller Blick auf die Geschichte des Show-Geschäfts. Hinter dieser Geschichte liegt aber noch eine andere: Die Schnauzprinzessin erzählt auch von einer Suche und der Erkenntnis, dass eine One-Woman-Show vielleicht genau das Richtige ist. Natürlich können und sollen wir davon Träumen, dass wir den lieben Gott demnächst am rosa Plüsch-Telefon haben und der uns kurz und bündig ein paar Wünsche erfüllt. Aber wichtiger ist es, dass wir uns derweilen etwas in den Hintern treten und unsere One-Woman-Show ins Leben rufen. Das heisst nicht, dass wir alleine sind, dass wir alles und jedes alleine machen. Es heisst nur, dass wir uns nicht davon abhalten lassen, Dinge zu tun, weil wir wissen, dass wir etwas nicht perfekt können, dass es andere gibt, die es besser machen und, dass wir vielleicht vollkommen und grandios damit scheitern.

Jackie Brutsche scheitert mit ihrer Schnauzprinzessin hingegen keineswegs. Obwohl sie weder ausgebildete Schauspielerin noch Sängerin ist, gibt es keinen Moment, wo man als Zuschauerin mit hochgezogenen Augenbrauen innerlich rumzukritteln beginnt; dafür ist sie auch einfach zu laut, wild, schnell und gerade heraus – Rock and Roll eben. Sie singt und spielt Gitarre, stampft dazu auf zwei Pedale, so dass es rumpelt, und rasselt. Diese drei gesungenen Stücke sind dann auch die eigentlichen Perlen dieses Abends; es ist der Gänsehaut-Moment. Nicht, weil diese Lieder besonders intim daherkommen. Jackie veranstaltet auch beim Singen eine grosses Spektakel – aber sie ist in diesen Momenten absolut ehrlich und echt: Sie macht genau das, was sie liebt, und lässt uns dabei zuschauen. Dass sie uns zuschauen lässt, ist vielleicht die Entwicklung, die für Jackie nicht auf der Hand lag. Sie musste mit Neunzehn überredet werden, auf die Bühne zu stehen und in ein Mikrofon zu brüllen. Bei diesem ersten Auftritt allerdings sei etwas passiert, da sei ein wildes Tier losgelassen worden und sie wusste, das liesse sich nie mehr einsperren. Vom blossen Losbrüllen ist sie nach zehn Jahren Erfahrung als Front-Frau verschiedener Bands auch längst weggekommen. Sie hat eine unverwechselbare Stimme, die sie gerade im richtigen Masse gezähmt hat. So weit gezähmt, dass sie damit spielen kann, aber nicht so weit, dass diese Stimme zwar technisch perfekt, aber ohne innere Beteiligung, ohne Emotion daherkommt. In Kombination mit dem Rahmen, den ihr das Stück die Schnauzprinzessin bietet, der Möglichkeit, einen Song in eine Geschichte einzubinden, trifft sie ins Schwarze.

Und man sieht es ihr an; sie ist gerne da oben. Sie mag an der Bühne besonders, dass sie, sobald sie oben steht nicht mehr denkt, dass es ihr „tut“ und das macht ihren Auftritt so erfrischend. Es hat so gar nicht diesen Touch von bewusster Selbstdarstellung und Künstlichkeit. Die Frau gehört einfach auf die Bühne, obwohl, oder vielleicht gerade weil sie ihr Schaffen als Bühnenkünstlerin nie geschult hat. Rückblickend ist sie froh darüber. Froh, dass sie vieles nicht weiss, weil dieses Wissen immer auch eine Kanalisierung, Wertung und Anpassung mit sich bringt. So kann sie loslegen, ihre Geschichte erzählen und sich vorarbeiten zu der Kunstform, wo sie all ihre Leidenschaften reinpacken kann, auch wenn es dann allenfalls keine bestehende Kunstform mehr sein sollte. Sie arbeitet weiterhin daran, die vorherrschenden äusseren Merkmale von Theater, Musik, Kunst und Film aufzulösen und neu anzurühren, so, dass daraus ihr eigenes Universum entsteht – es ist schön und belebend, darauf einen Blick werfen zu können.

 

Written by lottimoa

Januar 16, 2011 at 10:43 am

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Hip-Hop Romantiker und Nostalgiker Tinguely dä Chnächt

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Ich wollte es wirklich nicht tun. Wirklich, ich habe mir vorgenommen, ganz sicher nicht über ein Rap-Album zu schreiben. Abwechslung, nicht wahr. Ein breites Spektrum und so weiter. Aber jetzt gerade ist da ein Lied fertig. Das geht um den Tod eines geliebten Menschen und alles andere im Leben. Tinguely dä Chnächt hat eine Art zu Rappen, die sich nach seitenlangem Schreiben anhört. Nach gefüllten Festplatten, Servietten voller Notizen, Worten, Sätzen. Nach vielen, vielen Zigaretten und dem einen oder anderen Bier darüber hinaus. Es ist ein lustiges Album, ein Schmunzel-Album, obwohl die Texte oft alles andere als heiter sind. Es ist ein Album, das mich dazu bringt, vor der Anlage zu sitzen, und mich fünfzehn Jahre zurückversetzt zu fühlen: Zu Hause Mix-Tapes hören und bei Wu-Tang beispielsweise auf diese angenehm kribbelnde Art schockiert sein; darf man solche derben Sachen dermassen explizit beim Namen nennen, und darf man als Frau so etwas hören und sich dabei amüsieren? Ich würde meinen, das kommt auf die Fähigkeit zur Ironie des Texters an, oder aber auf die ironische Distanz der Zuhörerin. Also vor den Boxen sitzen, grinsen und sogar mal laut rauslachen! Und ich meine, das braucht ja nun was, dass man das tut. Die Beats von Reezm sind geschmeidig wie Melasse – zäh, stumpf glänzend, herb und süss – oder meinetwegen wie Hopfen in flüssig. Es hat wunderbare Wortgebilde auf diesem Album, der Pressetext verwendet den Begriff wortgewaltig, eine grosse Ansage, aber, ja; wortgewaltig. Tinguely dä Chnächt spielt mit unserer Wahrnehmung. Das ganze Album lässt sich auf verschiedenste Arten hören – es ist mehrschichtig, weil er virtuos mit der Mundart spielt, so dass sich immer neue Bedeutungen heraushören lassen. Ein Vexierbild für die Ohren. Es ist auch ein wahrer Hoden-Bau. Ein typisches Jungs-Album; und dabei hört man sie Lachkrämpfe unterdrücken. Ich verstehe zwar nicht alles; er schlurft beim Sprechen, sanft zischelndes Lispeln dazu, und das auch noch auf Züri-Dütsch. Aber es klingt toll. Ein paar Ungeliebte gibt’s auch, die sind mir dann zu sehr Rap, um des Raps willen. Es hat auch sonst den einen oder anderen Schönheitsfehler, dieses Album. Manchmal ist da gar holprig geschnitten und überblendet, aber diese Unvollkommenheit trägt auch wieder zum Charme bei. Wie er sagt: Die Dinge müssen einfach getan werden, so wie sie gerade kommen und anstehen, sich fallen lassen – ganz wichtig -, sagt er.

Es geht auch in „Bar“ um die Themen unserer Generation. Wieder ist die Ambivalenz ein ständiger Begleiter – die Lage könnte so gedeutet werden, oder genau anders – wie können wir wissen, was wichtig und richtig ist für uns? Tinguely dä Chnächt in „z’vill Ziit“: „D‘ Angscht macht en Unterschied zwüsche ich fühl, dänk und weiss es“. Er hat ein paar solcher Treffer formuliert.

Sein Promoter warnt mich in den Mails vor: ich müsse dann halt hinter her telefonieren, in den Besprechungen liest man von verschlafenen Terminen um vier Uhr nachmittags – klingt unzuverlässig. Nun, der Mann ist pünktlich und meldet sogar die zwei Minuten Verspätung an. Beschönigen tut er nichts, dass „Bar“ erst jetzt herausgekommen ist, sei nicht zuletzt auch auf verschlafene Aufnahme-Sessions zurückzuführen. Er Arbeite halt momentan in der Nacht, das habe sich in den letzten vier Jahren so ergeben, vielleicht wäre es aber auch gut, mal wieder einen anderen Rhythmus auszuprobieren. Allerdings, hat aber genau diese Lebensweise die Texte zu diesem Album geschrieben; es würde anders klingen und Anderes erzählen, wenn er jeden Morgen um sieben, die Stempelkarte benutzen würde. Man kann sich also auch einfach darüber freuen, dass es diese konsequenten Menschen gibt, die sich getrauen, sich auch einmal zu Verweigern, sich treiben zu lassen, ihre Überforderung beim Namen zu nennen, und das wiederum nicht stur machen müssen, sondern ihr Tun immer gleich mit hinterfragen. So etwas ergibt doppelt genähte Texte. Es kommt eine junge Kurzhaarige in die Bar. Sie begrüssen sich, ich denke mir was, und zehn Minuten später sagt er, das sei die Frau, über die er dieses eine Lied geschrieben habe. Und genau diese Offenheit, die für ihn selbstverständlich ist, und bei der er auch nicht genau versteht, warum man das nicht so machen sollte, ist absolut einzigartig. Das Lied „Letschti Rundi“ ist so ein Rundumschlag. Da findet er Worte für etwas, was eigentlich nicht in Worte gefasst werden kann. Was ihm dabei hilft, ist die Form des Reimens, welche einen gewissen Schutz und Halt gebe, um Gedanken und Gefühle auszudrücken. Als wir auf die Live-Umsetzung zu sprechen kommen, zeigt sich, dass diese Offenheit, aber auch ihre Grenzen hat. Er würde „Luftposcht“ und „Letschti Rundi“ nie live rappen. Es wäre sehr wahrscheinlich auch zum Zuhören kaum zum Aushalten. „Bar“ ist für zu Hause gedacht, oder noch eher für unterwegs, und dazu die Welt vorbeiziehen lassen.

Nach dem Interview nimmt er mich mit rüber in den Plattenladen, den sein Produzent führt, guckt so ganz nebenbei, dass ich mit Platten, einer Story für eine nächste Ausgabe und ein paar schönen Sätzen im Kopf in den Zug nach Bern steige. Ich glaube, er meint das mit dem: „I wott e guete si“ tatsächlich so – das ist verdammt schwierig umzusetzen, ein Vorsatz, der das Scheitern daran in sich birgt. Ein Vorsatz, der in seiner Einfachheit wohl nur nach einschneidenden Erlebnissen und langem Nachdenken darüber zu Stande kommt. Denken ist in nicht-akademischer Form vielleicht nicht besonders angesagt, aber es ist Arbeit. Arbeit, die sobald auf irgendeine Art intelligent umgesetzt, hilft, unser Leben zu reflektieren und zu hinterfragen, hilft, zu erkennen, woran wir leiden und was wir lieben.

 

Written by lottimoa

Dezember 4, 2010 at 12:00 pm

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Wer ist Marton di Katz?

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Eine Nachfolgegeschichte

 

 

Der Mann hat zwei der besten Rap-Alben der Schweizer Musikgeschichte mitzuverantworten: „UND JETZ… was hät das mit mir z tue?“ von Big Zis und „D‘ Party isch vrbi“ von Baze. Marton di Katz, wie er von Big Zis aus einer Laune heraus getauft wurde, war bei beiden Alben als Produzent mit von der Partie. Es sind für mich eigentlich die zwei einzigen Schweizer Rap-Alben, die ich wirklich ganz und gar gelungen finde, und das kann ja nicht nur an den Texten und Fähigkeiten von Big Zis und Baze liegen. So viel ist also schon einmal klar, und ich treffe mich mit dem Mann aus dem Hintergrund. Márton Dobozi ist dreiunddreißig Jahre alt, und gerade dabei, sich immer mehr mit Musik über die Runden zu bringen, obwohl er es auch gar nicht so schlecht findet, seinen Brotberuf als Webentwickler ab und an auszuüben, und von der hyper-kreativen Musikwelt, ins klar definierte Programmieren zu wechseln. Geboren und aufgewachsen ist er in Zürich, seine Eltern sind gebürtige Ungarn. Seine Affinität zur Musik ist ein Erbstück von seiner Mutter – sie ist klassische Konzertpianistin. Er hat sich in Kindertagen quer durch alle möglichen Instrumente gespielt von Flöte, über Geige und Schlagzeug, ist er schlussendlich bei der klassischen Gitarre gelandet. Als Teenager bekam er erstmals einen E-Bass zwischen die Finger, und hatte damit sein Instrument gefunden. Wenn er heute bei einem seiner unzähligen Projekte live spielt, tut er das mit dem Bass. Zur Elektronik ist er über seinen Bruder gekommen, der ein paar Jahre älter ist und den kleinen Bruder offenbar unkompliziert an seinen Leidenschaften teilnehmen liess. Die zwei Brüder sind bis heute ein eingespieltes Team, und dass die Zusammenarbeit so gut läuft, führt Marton di Katz darauf zurück, dass sein Bruder Klavier spielt, er hingegen Gitarre und Bass – da komme man sich nicht in die Quere, sonder ergänze sich. Während er erzählt, fallen mir die ersten Parallelen und Verbindungen auf, die vielleicht bedeutungslos sind, vielleicht aber auch nicht, wenn es darum geht, was einem in der Musik nun eigentlich anspricht oder nicht. So unauffällig sie oft sind, höre ich Bässe doch besonders gerne, oder Musik, bei der ein Basslauf elementar ist. Benfay, der zweite Produzent von Bazes Album, der klassischen Bass studiert hat und Marton di Katz sind also beides Experten für Bässe. Zudem sind die musikalischen Vorbilder von Marton di Katz allesamt auch in meiner Musiksammlung zu finden, und ich freue mich schon beim Gespräch darauf, seinen Kompositionen noch einmal zu lauschen und die Einflüsse herauszuhören. Grundsätzlich sei er schon ein Hip-Hop-Kind sagt er, aber ebenso wichtig sind Soul, Jazz, Elektronische Musik und Klassik. Das Vermischen verschiedenster Genres, lässt sich vielleicht am „Schnide mer d’Haar“ von Baze gut hören. Da ist zu Beginn diese schöne, fast etwas zu schöne Gitarren-Melodie, die geografisch in heissen Gefilden zu Hause sein könnte, ebenso die Perkussion, die südlich anmutet, aber nur ganz kurz bevor sie ziemlich abstrakt klickt und grrrrrrrrt.  Da sind die streicher-ähnlichen Klangflächen, die Pauken aus dem Orchestergraben. Dann der zuerst zurückhaltende Bass, der sich ganz plötzlich zu einem vom Klang her dem Techno zuzuordnenden Alleinunterhalter aufschwingt – und da ist noch viel, viel mehr.

Marton di Katz baut nicht nur grossartige Kulissen für Rap-Alben, er hat auch beste Erinnerungen an die Club-Gigs mit dem Rumpelorchester, wo er zusammen mit seinem Bruder, der sich als Künstler Valentino Tomasi nennt, und Kalabrese einen virtuosen Live-Techno auf die Bühne stellte. Genauso viel Spass macht ihm das Vertonen von Kurzfilmen, Theaterstücken oder Werbe-Clips. Was ihn meiner Meinung nach von vielen Produzenten abhebt, ist seine Fähigkeit, bei aller Elektronik einen gewissen Live-Aspekt in seinen Stücken beizubehalten. Einen seiner Beats, den Baze für seine Scheibe verwendet hat, habe ich recht früh im Entstehungsprozess gehört, und war etwas irritiert ob der rohen Rumpeligkeit. Man ist sich von der elektronischen Musik gewohnt, dass alles, jeder Ton, auf die Millisekunde mit der Pinzette gesetzt ist. Bei Marton di Katz hört man, dass ein grosser Teil der Instrumente eingespielt wurden und zwar über lange Strecken. Das wird erst einmal grob zusammengesetzt und als Vorlage verwendet. Im Endeffekt ist wohl diese Herangehensweise der Schlüssel zum Groove von Marton di Katz. Er liefert nicht einfach einen Beat ab und das wars dann. Bei ihm folgt auf die musikalische Skizze ein aufwendiger Prozess, in dem er im Falle eines Rap-Albums auf jede Textzeile eingeht, den Rhythmus und Klang der Stimme hervorhebt und unterstreicht und das Stück mit kleinen Brüchen und Einwürfen vollendet.

Nun, bei so viel Talent stellt sich doch die Frage, warum er noch keine Soloplatte herausgebracht hat? Wie vielen Soundtüftlern hilft auch ihm, ein konkretes Projekt vor sich zu haben, um die Dinge einzugrenzen und nicht zu viele Richtungen gleichzeitig einzuschlagen. Er sagt, er arbeite zwar immer wieder an eigenem Zeug, aber da fänden sich so viele Stilrichtungen darunter, dass es sehr schwierig wäre, daraus ein Album zusammenzustellen. Auch klingen seine Ansprüche an ein Solo-Album noch einmal eine zünftige Portion grösser: Es müsste ein Instrumentales-Album geben, mit Gästen, und ganz wichtig wäre, dass sich die Musik auf der Bühne spielen liesse und natürlich nicht mit einer primär elektronischen Umsetzung. Jedenfalls läuft hier gerade „Oktober“, die Rohskizze eines Songs; schlicht, unaufgeregt, drei Klänge im Basslauf, die mich zum Lächeln bringen, darüber etwas Gitarre und es haut jetzt schon hin. Ich bin jedenfalls gespannt…

 

Written by lottimoa

November 2, 2010 at 8:05 am

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Baze

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D‘ Party isch vrbi

Schweizerdeutscher Rap war eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Bis ich dann eines Abends auf einem Bildschirm diesen jungen Mann sah, der mit seltsam hochgekrempelten Trainerhosen auf einem Bett bei einer Tankstelle sass und rappte, dass es eine wahre Freude war. Wie sich herausstellte, war dieser Mann Basil Anliker aka Baze und es dauerte noch ein paar Jahre, bis sich die Wege im kleinen Bern kreuzten. Die ersten zwei seiner Solo-Platten sind mehr oder weniger ungehört an mir vorbeigegangen und ich hatte den extrem morgenmuffeligen Mann erst bei der der Promo der Boys on Pills Platte als Interviewpartner vor dem Mikrofon. Die zwei Boys on Pills Alben fand ich äusserst unterhaltsam. Ich war davon angetan, wie Baze die Worte aneinanderreihte, wie er seine Geschichten erzählte; simpel, lebensnah und auf den Punkt gebracht. Mir gefielen seine Melodien, sein Flow; jeder Rapper hat seine Ton-Abfolgen, seine Rhythmik, die ihn im Idealfall unverkennbar machen und im schlechtesten langweilig. Die Boys on Pills Alben gaben also schon einmal die Richtung vor, aber Baze versteckte sich da noch hinter viel Ironie und Übertreibung, was zu diesen Alben zwar durchaus passte, einem als Zuhörerin aber doch irgendwie unbefriedigt zurückliess. Was ich hören wollte, war die erwachsenen Version des rappenden Baze, eine Solo-Scheibe, die einem als Mitdreissigerin nicht vor die Entscheidung stellt, diesem Musik-Stil ein für alle Mal abzuschwören, weil Rap schlussendlich doch nur als Musik des Jugendkults funktioniert.

Jetzt habe ich diese Scheibe endlich in meiner Anlage. Sie heisst d‘ Party isch vrbi und fängt mit einem melancholischen Abgesang auf die wilden durchwachten Nächte an. Mit Hilfe von Endo Anaconda wird da eine hoffnungserfüllte Endzeitstimmung heraufbeschworen, dass einem ganz schummrig wird. Die Geschichten sind einmal mehr aus dem Leben gegriffen und spielen oft auf den etwas raueren Seiten des Alltags. Sie widerspiegeln die Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden, den Abschied einer Generation von ihrer Jugend. Was mich daran entzückt ist, dass es Baze gelingt dieses metaphysische Gefühl der zu erfassen, die sich mit dem Verlassen der Jugendwelt nicht ganz leichttun – es gibt dafür sogar einen Begriff; wir stecken in der Odysee-Phase. Uns ist nicht ganz klar, was eigentlich das Erwachsensein nun ausmachen sollte. Einfach nicht mehr an Parties gehen, die Liebe des Lebens finden, Kinder machen und den Garten umgraben – das klingt zwar auch verlockend, aber wir stellen leicht konsterniert fest, dass sich dieser Plan nicht einfach so mir nichts dir nichts umsetzen lässt, dass wir es nicht schaffen, diese Schablone auszufüllen, ohne uns weh zu tun, uns zu verlieren und wir bleiben mit der Frage stehen, was denn dann kommen soll. Baze schafft es, diese für uns typische Ambivalenz, einzufangen und das ist eine sensationelle Leistung. Schwere Themen geht er mit Humor an, leichten Themen hängt er etwas Blei an die Füsse und balanciert so die Ganze Kiste sicher und kompakt aus. Benfay und Marton di Katz haben die Beats beigesteuert und bauen Kulissen für die Geschichten, wie sie besser nicht sein könnten. Musik und Texte haben etwas gemeinsam, was schwer hinzukriegen ist, sie sind gleichzeitig eingängig und tiefgründig. Die Melodien hat man nach ein mal hören im Ohr, manche Songs sind richtig süffig und surfen nahe am Kitsch, aber immer gibt es da die kleinen Brüche und Unterströmungen, die sie davon bewahren ins Seichte abzudriften. Baze sucht sich bewusst Beats aus, die nicht einfach per se eine Wucht sind, sondern solche, die ihm eine Stimmung vorgeben und die noch Platz genug bieten, in einer zweiten Phase, auf den Text zu reagieren. So entsteht eine äusserst bestechende Dynamik, die dafür sorgt, dass die Scheibe auch nach dem zehnten Durchgang immer noch in ganzer Länge und voller Lautstärke gehört werden will. „D‘ Party isch vrbi“ ist grosses Theater und gerade bekomme ich nicht genug davon.

Zuvor durfte ich an einem grauen Sonntagnachmittag zu Baze und Benfay in den Keller runtersteigen, mich in einen Bürostuhl vor Boxen setzen, die Füsse hochlegen und zuhören. Ich war sehr glücklich an diesem Nachmittag. Vielleicht war es das quere Mittagessen, in einer Beiz, die ich alleine nie und nimmer besucht hätte, oder die Frau dort, die mich einfach so umarmte und meinte: I respect women like you (ähm, merci –  sehr lieb – irgendwie), vielleicht war es schlicht die Tatsache, dass diese zwei Männer gerade dabei waren, etwas Einzigartiges zu schaffen und ich da ein paar Stunden mitten in den Beats und Lines mitschwamm. Musik ist immer Geschmacksache, aber es gibt auch immer Fakten, die sich festnageln lassen: Baze rappt perfekt. Da wird im Nachhinein nichts geschnitten, nichts gepitched. Baze rappt so, dass die Worte sich wie ein geschmeidiger Lederhandschuh um die Beats legen. Er sagt, er habe etwas Angst davor, dass die Leute beim Zuhören davon ausgehen, dass das alles er sei, dass die Geschichten ihn eins zu eins widerspiegeln. Und auch wenn er etwas Angst davor hat, hat er genau das getan. Er hat alles abgelegt, was ihn distanziert, überheblich und grossmäulig erscheinen lässt und erzählt mit nichts als Boxershorts auf dem Leib aus dem Leben. Das ist kein Weltverbesserungs-Rap, kein Klischeegangster-Rap – es ist die Umsetzung dieser Musikform, wie sie ursprünglich gedacht war; als erzählendes Medium, als ein Hybrid aus Poesie und Musik. Und zu guter Letzt lässt einem Baze nicht einfach so im Regen dieses melancholischen und nackten Albums stehen, sondern gibt uns noch einen letzten Song mit auf den Weg; es geht darin um diese Nachmittage in Kellern, um diese Momente, wo die Zweifel für einen kurzen Augenblick Ruhe geben. Das ist keine Neuigkeit, aber gut, mal wieder zu hören; es sind diese Momente, die zu suchen sich lohnt – nicht mehr und nicht weniger.

Written by lottimoa

Oktober 4, 2010 at 12:25 pm

Veröffentlicht in Musik, Portraits

Restless legs of a soul

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Delaney Davidson

Eine Prise Landstreicher, ein Stückchen Seemann und einen guten Schluck Gentleman – daraus muss ein Mann gemacht sein – jedenfalls wenn er solche Lieder fertig bringen will wie Delaney Davidson, der mit seinem neuen Album Self Decapitation allerlei Leute begeistert.

An diesem Mittagmorgen sieht er noch etwas lädiert aus, ist aber schon beim Teekochen knietief im Beantworten ungestellter Fragen: Nämlich, warum er noch nicht berühmt ist. Delaney Davidson ist sich einfach nicht sicher, ob er überhaupt wirklich erfolgreich sein möchte. Er erklärt das ungefähr so: Ruhm verändert die Person; am Anfang kommen die Zuhörer und wollen von dem Musiker etwas bekommen, was in ihren Augen nur er besonders gut kann. Geht dieser Prozess ins Unendliche weiter, wird die Masse, die einem gegenübersteht immer mächtiger und irgendeinmal richtet sich der Musiker nach dem, was er vermutet, was die Leute von ihm hören wollen und die sind dann enttäuscht – das kennen sie ja schon. Ein Freund habe einmal treffend festgestellt, dass er wohl erst erfolgreich sein wolle, wenn er tot sei. Er sieht darin tatsächlich einige Vorteile; man lasse dann einfach diesen Körper aus Musik zurück und irgendjemand entdecke den eines Tages und schicke diesen raus in die Welt.

Auf Delaney Davidson trifft ein fürchterliches Wort zu; er ist authentisch. Irgendwie passt bei ihm alles zusammen; seine Art zu denken, zu sprechen, sich zu kleiden und seine Musik. Es ist ein sehr konsequente Lebensweise, der er da nachgeht. Guckt man beispielsweise seinen Tourplan für die nächsten Monate an, bleibt nur die Frage, ist das noch normal? Er findet nein, das sei es wohl nicht, aber er liebe das Reisen, das Unterwegs sein und es sei ihm auch ganz und gar eine Notwendigkeit. Ob er eine ruhelose Seele sei? Ja, und er habe auch dieses restless legs syndrom, wenn er sehr müde ist fangen seine Beine an rumzuzappeln – unkontrolliert, das sei sehr unangenehm. Welche bessere Art, als dem mit ständiger Bewegung zu begegnen? Ausserdem mag er die Momente dazwischen; kurz bevor man an einem neuen Ort ankommt, der Moment, nach dem Verabschieden einer geliebten Person, bevor sie um die nächste Hausecke verschwindet. Und es sei ein gutes Training, sich einen komplizierten Plan zusammenzustiefeln und den dann abzuarbeiten. Es lehre einem, wenig bei sich zu haben, lehre einem in persönlichen Beziehung, mehr auf das Gegenüber einzugehen. Wenn man wisse, dass einem nur ein paar wenige Stunden zur Verfügung stehen, seien die doch besonders wertvoll. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, aber es ist trotzdem erstaunlich, ein solches Leben. Und die Musik, die daraus resultiert, ist es auch. Sie einordnen zu wollen, ist mehr als schwierig, jedenfalls spielen die Lieder auf Self Decapitation in einer Klasse für sich.

Das Schreiben der Songs sei ein sich Wegträumen und weil er davon ausgehe, dass alle Mensch grundsätzlich gleich sind, stimme das, was er dort für sich finde dann wohl auch für alle anderen. Die Melancholie und Nostalgie seien ganz typisch für ihn. Er glaubt, dass das auch mit dem Reisen zu tun hat; sich ständig zu verabschieden, Dinge hinter sich zu lassen. Aber noch viel genauer trifft es der Begriff Sehnsucht; eigentlich sei es dieses Gefühl, das er einzufangen versuche. Eine Sucht eben und plötzlich wird klar, warum er so lebt: Delaney Davidson ist ein grosser Sehnsuchts Generator und weil viele von uns dieses bitter-süsse Gefühl nur zu gut kennen und auch lieben, sind seine Lieder für uns Sehnsüchtigen die Medizin, die wir brauchen.

Delaney Davidson versteht die Musik als ein dreiteiliges Wesen, bestehend aus dem Schreiben und Komponieren, Einspielen im Studio und dem Spielen vor Publikum. Alle drei Teile brauchen andere Herangehensweisen und Fähigkeiten und alle drei Teile bedingen sich gegenseitig. Etwas, was er rückblickend gerne in seinem Reisegepäck dabei hätte, ist ein Studium der Komposition. Kurt Weill beispielsweise beeindruckt ihn oder die italienischen Filmkomponisten. Einerseits seien diese unglaublich frei und kreativ in ihrem Schaffen gewesen, aber das tiefe Verständnis für Musik, ermöglichte ihnen wahrscheinlich diese Freiheit erst. Delaney Davidson fühlt sich manchmal durch die fehlenden Fertigkeiten eingeschränkt, lässt sich aber davon nicht abhalten seien Visionen umzusetzen. So hat er beispielsweise lange mit dem Klarinettisten Lemmi Schwartz zusammengearbeitet und diesem seine Ideen immer wieder vorgesungen und erklärt, bis die Umsetzung stimmte. Auch auf diesem Album bekam er durch einen Freund, die Chance, einen lange gehegten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser bot ihm in Berlin an, mit einer Truppe Bläser zusammenzuarbeiten. Und obwohl er diese Parts weder aufschreiben noch selber spielen konnte gelang es ihm, den Bläsern seine gesuchten Klänge zu entlocken.

Delaney Davidson hat eine zurückhaltende Art, die Begeisterung drückt sich nicht in grossen Gesten oder weitschweifigen Reden aus, sondern in den kleinen Feuerwerken, die in seinen Augen  zünden. Uns so ist auch sein Bühnenauftritt ein lakonischer, wenig Überdrehtes, wie es heute so in Mode ist, dafür eine Menge Absurdes und trocken Humoriges. Sein Ghost Orchestra rumpelt, eiert und lärmt, er singt, mal sanft einschläfernd, mal anklagend, mal rau und roh. Das hat etwas hypnotisches, man schweift ab – getragen von den Geschichten um Mord und Totschlag, Tagträumereien, Abschied, der meist unglücklichen, unerfüllten Liebe. Er lässt das Ghost Orchestra einen Walzer spielen, ruft einen Tanzwettbewerb aus, bei dem nicht gesprochen aber unbedingt geküsst werden soll und macht sich dann auf Tour durch das kleine Lokal, um die Tänzer genauer unter die Lupe zu nehmen.

Delaney Davidson schafft mit seiner Musik Parallel-Welten, die Musik ist nicht von hier und jetzt, die Textzeilen bleiben oft rätselhaft und auch die Cover-Songs changieren bei ihm in ganz neuen Farben und Stimmungen. Ich will das wieder hören – wieder und wieder.

Written by lottimoa

Mai 5, 2010 at 1:22 pm

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Evelinn Trouble

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Eingeordnet zu werden, mag sie nicht. Erst recht nicht in die Reihe „junger Frauen, die Musik machen“, was in den Medien seit längerem gerne als Label verwendet und als Trend propagiert wird. Und wenn sie schon in eine schweizerische Ahnenreihe gestellt werden soll, dann so präzise wie möglich: Sie in den Kontext mit den zwei Künsterinnen Big Zis und Joy Frempong zu bringen, findet sie schon einmal einen Fortschritt. Unumwunden drückt sie ihre Begeisterung für die beiden aus, den Wunsch, mit solchen Menschen Projekte zu verwirklichen. Mit diesen zwei Frauen teilt sie aus meiner Sicht den freien Zugang zur Musik, ihre etwas verschrobene Art, was sich in Bühnenoutfits, Texten und Liedstrukturen unschwer erkennen lässt. Die Liebe zum Schrägen, die bei diesen dreien unverkrampft und ungekünstelt wirkt.

Sie legt grossen Wert darauf, allzu herkömmlichen Harmonien und Songstrukturen auszuweichen. Das hat nichts mehr mit jugendlichem Rebellentum zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass sie gar nicht anders kann. Es sei schon fast so etwas wie eine Krankheit, immer etwas über das Limit zu gehen, die Dinge nicht einfach schön sein zu lassen, sie zu brechen und in andere, neue Formen zu bringen. Sie will viel mit ihrer Musik. Es genügt ihr nicht, sich in der Schweiz mit etlichen Live-Auftritten und einem selbstgebastelten Album, bereits einen Namen geschaffen zu haben. Sie will Musik machen, die Bestand hat und auch über die Landesgrenze hinaus auf Resonanz stösst. Frau Trouble ist längst nicht mehr zufrieden mit ihrem ersten Album „Arbitrary Act“, das sie als Maturarbeit konzipiert hat, mit dem Gedanken einfach mal alle die herumschwirrenden Melodien und Textzeilen festzunageln. Sie findet diese Scheibe mittlerweilen zu intim – fast schon anbiedernd intim .

Ich treffe Evelinn Trouble in einem Moment in ihrem Leben, wo sie einen zünftigen Richtungswechsel vornimmt. Die letzten zwei Jahre sei sie faul gewesen. Nicht, dass sie keine Musik gemacht hätte: Sie hat immer wieder neue Projekte angerissen, nur ist sie an keinem so richtig drangeblieben. Sie hat mit etlichen Leuten zusammen gespielt aber daraus hat sich offenbar in der Zeit wenig bleibendes herauskristallisiert. Das ist für ihr Alter und ihr Metier sicherlich nichts Ungewöhnliches. Schnell ist eben doch gerade eine talentierte, musikmachende Frau hier in der Lage, sich auf einem gewissen Level zu etablieren und Gigs reinzuholen. Das funktioniert ein paar Jahre und dann wird es still. Evelinn Trouble ist sehr wahrscheinlich aber eine zu gute Musikerin, um einfach in der Versenkung zu verschwinden und eine zu ambitionierte! Um zu sehen, wie es draussen in der grossen Welt zu und her geht, da, wo ihre Idole am Werken sind wie „TV on the Radio“ beispielsweise, ging sie nach New York. In diesen zwei Monaten, hatte sie viel Zeit zu überlegen, Bilanz zu ziehen, herauszufinden, was sie wirklich will und festzustellen, dass sie ein paar Dinge anders angehen muss, um ihrem Ziel näher zu kommen. Sie hat die letzen paar Monat damit verbracht, ihrem Leben etwas Struktur zu geben. Evelinn Trouble ist dabei, sich aus ihrer jugendlichen Unbekümmertheit herauszuschälen und ihrem Leben eine gewisse Kontur zu geben. Dass sie eine Frau mit vielen Facetten ist, die sich nicht damit zufrieden gibt, auf einer Schiene vor sich hinzurollen, wird ihr sicher erhalten bleiben. Sie scheut die Langeweile und probiert gerade aus, wie man die  Langeweile vermeiden kann, auch wenn man einen mehr oder weniger geregelten Tagesablauf hat und sich erst einmal nur auf ein Projekt konzentriert. Einfacher macht sie es sich deswegen aber noch lange nicht. Sie planscht nicht an der Oberfläche rum und wirft in diesem Interview ein paar meiner unlösbaren Lieblingsfragen auf: Beispielsweise warum uns Liedtexte in Schweizerdeutsch oft peinlich berühren. Warum es nur ganz wenige gibt, die die Mundart wirklich beherrschen. Oder die Frage, ob Musik ein gewisses Verständnis  braucht, ein Wissensschatz, den man sich aneignen muss. Ob also Musik schlussendlich auch etwas mit Bildung zu tun hat.

Definitive Antworten auf diese Fragen sind natürlich unmöglich. Aber sie zeigen, dass Evelinn Trouble gerne ihrer Sache auf den Grund geht. Sie singt nicht einfach auf Englisch weil es gut klingt. Sie spricht von der Codierung, die dadurch möglich wird, von der Distanz, die sich durch die Fremdsprache automatisch ergibt, auch davon, dass fast alle Musik, die sie hört und gehört hat englische gesungen ist und sie es ganz einfach nicht anders gelernt hat. In anderen Fragen ist sie unentschiedener: Bildung braucht es ihrer Meinung nach keine, um Musik zu verstehen. Trotzdem vergleicht sie den Besuch eines Konzertes mit dem Besuch in einem Museum, wo ein Laie perplex vor einem Kunstwerk steht, wohingegen ein etwas geübterer Museumsgänger sich besser auf das Gezeigte einlassen kann. Unabdingbar findet sie auf jeden Fall Offenheit und Interesse für die Sache.

Und dann die wohl schwierigste Frage; was eigentlich die grossen Lieder ausmacht? Beide rätseln wir darüber, was manchen Songs dieses gewisse Etwas verleiht, was sie für viele Menschen erkennbar werden lässt. Wir landen bei allgemein gültigen Symbolen in der Sprache, den Rhythmen und Tonfolgen, die berühren, ohne intellektuell erfasst zu werden, und so macht es irgendwie auch Sinn, wenn Evelinn Trouble sagt, sie versuche über Zustände und den Kosmos zu schreiben. Wobei sie mit dem Kosmos eben die Suche nach diesem allgemein gültigen, allgemein verständlichen Etwas meint, was einem Lied höchste Dringlichkeit verleiht. Die Frau hat definitiv sehr viel Arbeit vor sich und ich denke, die Chancen stehen gut, dass Evelinn Trouble der Musik für uns ein paar unvergessliche Töne abringen wird.

Written by lottimoa

April 5, 2010 at 4:02 pm

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Rund läuft es – Round Table Knights

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Zu wissen, was man nicht will und daran festzuhalten, kann eine gute Sache sein. Christoph „Biru“ Haller und Marc Hofweber quälten sich in Jugendtagen durch eine KV-Lehre und es stand für beide sehr bald fest, dass sie auf gar keinen Fall in diesem Geschäft bleiben wollten. Viel verlockender schien ihnen, ihr Geld mit dem zu verdienen, was ihnen am meisten Spass machte – der Musik.

Selten genug, trifft man in der Schweiz auf Musiker, die gut von ihrem Beruf leben können und noch seltener sind das Leute, die nicht an einer Musikhochschule studiert haben. Also nimmt es doch wunder, wie es den zweien als Round Table Knights gelungen ist, in der internationalen DJ-Welt Fuss zu fassen und seit ein paar Jahren zu den gefragtesten Leuten ihres Fachs zu zählen. Nicht ungewöhnlich für männliche Adoleszente, begannen sie sich vor mehr als zehn Jahren für Musik zu begeistern und schufen ein DJ-Kollektiv mit vier Jungs. Unterwegs hat sich die Vierergruppe auf die zwei heutigen Köpfe reduziert. Biru und Marc waren die zwei, die unbedingt diesen Weg gehen wollten, die darin eine Möglichkeit sahen, ihren Traum zu erfüllen und ein gutes Stück dieses Weges haben sie schon einmal, locker aus dem Handgelenk wie es scheint, zurückgelegt. Zuerst interessierten sie sich vor allem für Hip Hop und übten ihre Skills und Fingerfertigkeiten, die einen ernstzunehmenden Hip-Hop DJ auszeichnen. Das war an sich noch nichts Besonderes und sie hatten in diesen Tagen zwar in der ganzen Schweiz ihre Auftritte, aber um davon zu leben, reichte das noch lange nicht. Beide verdienten ihr Geld damals noch anderweitig; als Plattenverkäufer wie Marc oder als Booking-Agent wie Biru. Mehr nach Erfolg zu riechen begann ihr Schaffen, als sie anfingen, die musikalischen Genregrenzen zu überschreiten. Als sich der Name Round Table Knights zunehmend, vielleicht nicht in aller Munde aber zumindest in den Münder der Trendigen befand, war ihr Kennzeichen, dass sie alles mögliche an Stilen auf ihren Plattenteller zu einem tanzbaren Teppich verschmolzen. Damals war der Unterbau immer noch hauptsächlich Hip Hop, aber auch das hat sich mit zunehmendem Erfolg verändert – heute bezeichnen sie ihren Stil, wenn auch in Birus Fall ungern, als House. Ihnen widerstrebt es, etikettiert zu werden und gerade ihre instinktive Rebellion dagegen, sich in eine Schublade packen zu lassen, scheint mir ein grosser Teil ihres Erfolgs auszumachen. Sie bleiben unberechenbar, überraschen und fahnden immerzu nach neuen Möglichkeiten, musikalisch noch weiter zu gehen. So fühlen sie sich auch jetzt nicht all zu sehr ihrem bisherigen Schaffen verpflichtet und stellen sich vor, in der Zukunft weiter in ganz andere Richtungen vorzustossen. Zwar bestätigen sie, dass sie sich nun mit ihren eigenen Produktionen daran orientieren, wie sie als DJ’s wahrgenommen werden und sich damit musikalisch ganz klar einem Sound zuordnen. Es ist die neue Disco Musik, die wild und ungestüm daherkommt, sich an allen möglichen und unmöglichen Orten Anleihen sucht und die gefundenen Einzelteile über einen House-Beat gelegt, zu einer tanzbaren Einheit verschmilzt. Warum so viele DJ’s schlussendlich beim House landen, dem ein sehr gerades Taktmuster eigen ist, das vom Rhythmischen her wenig Überraschungen in sich birgt, lässt sich vielleicht damit erklären, dass alles andere als ein währschafter 4/4 ohne Firlefanz, die Tanzenden eher vor den Kopf stösst als beschwingt. Partygänger mögen im allgemeinen keine grossen Überraschungen und fühlen sich am wohlsten wenn sie ihrem Beinschlag die ganze Nacht treu bleiben können. Auch als DJ bietet ein solides und in sich unkompliziertes Grundgerüst eben die Möglichkeit, weit auszuholen und verschiedenste Facetten dazuzufügen. Die Herausforderung wird damit nicht mehr eine technische – wie virtuos spiele ich mit den Plattenspielern, sondern viel mehr eine Inhaltliche – wie weit treibe ich das Spiel weg von meinem Grundgerüst, will ich einfach bedienen oder auch ab und zu auch vor den Kopf stossen? Die Round Table Knights sehen sich ganz klar als Agenten des letzteren. Gerade in den Momenten, wo es unmöglich scheint oder alles andere erwartet wird, brechen die zwei ihr Set gerne auf und führen ihre Beweiskette weiter; dass es in der Musik keine Grenzen gebe – sie überzeugen offenbar.

Hinter all dem steht kein Masterplan, wie man vermuten möchte. Marc betont, dass er genau das gleiche auch machen würde, wenn er seinen Lebensunterhalt nicht damit bestreiten könnte und so bleiben die zwei frei von Verpflichtungen und Vermarktungsstrategien. Sie sind unkompliziert und verspielt, auch wenn im Hintergrund mittlerweile mehrere Leute an dem Unternehmen Round Table Knights feilen. Sie zeigen sich unbeschwert und ohne Zukunftsängste, natürlich könne es sein, dass der Tag komme, wo sie nicht mehr gefragt seien, aber viel mehr haben sie das Vertrauen, dass das über die Jahre geschaffene, internationale Netzwerk, aus Musikern mit ähnlichen Visionen, sich als tragfähig erweisen wird. Sie vertrauen auf ihre Herangehensweise, die sie bisher gut geleitet hat, einfach immer weiter der Nase nach, tun, was ihnen in den Sinn kommt, Neues ausprobieren und schauen wohin es sie trägt. Auch sehen sie sich noch lange nicht an ihrem Ziel angekommen: Momentan kümmern sie sich gerade um ihre neuste Eigenproduktion, eine EP mit dem Namen Calypso. Das Schaffen von eigener Musik ist ihr nächster Prüfstein. Mit ihren Ideen gehen sie zum Musiker und Produzenten Benfay, der ihnen bei der Umsetzung hilft. Sich mit ihrer eigenen Musik etablieren zu können, ist die nächste Sprosse auf der Leiter zum Olymp der zeitgenössischen Disco-Tanzmusik. Das schöne dabei ist, dass die beiden entspannt auf dem Teppich bleiben – nur, dass sie gerade dabei sind, ihren grossen Traum in der Wirklichkeit zu erleben.

Written by lottimoa

März 2, 2010 at 3:08 pm

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