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Amygdalaproject

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Es gab Zeiten, da waren die Begriffe Konzept und Projekt im Zusammenhang mit Kunst gern gehörte und erwähnte Schlagworte. Bis die ersten Feuilleton-Autoren darauf aufmerksam machten, dass hier eine Generation im Projekte-Übereifer unterwegs war. Niemand war mehr am Arbeiten, alle waren damit beschäftigt, das neuste Projekt auf die Beine zu stellen, oder wenigstens davon zu reden. Alles und jedes war ein Projekt, allerlei noch so abstruse Konzepte wurden umgesetzt – man war deswegen bald einmal etwas übersättigt. Die Begriffe sind momentan nicht sehr in Mode. Lieber betonen Künstler, dass eben kein Konzept hinter ihrem Projekt stecke, dass es in dem Sinne auch gar kein Projekt sei – mit Anfang und Ende, sondern eher eine Momentaufnahme im Fluss ihres Schaffens. Gerne ist die Kunst einfach so entstanden; Prozess ist vielleicht das heutige Schlagwort.

Irgendwie tut es da richtig gut, zweien zu begegnen die sagen: Ja, total Konzept. Wir haben uns folgendes überlegt und so sieht jetzt – nach dem Ausprobieren, Rumtüfteln, Aufsetzen und Verwerfen, die Umsetzung aus. Und ja: es ist unser gemeinsames Projekt.

Die zwei sind Nicole Pfister und Lukas Thoeni. Sie ist Multimedia-Künstlerin, er Trompeter, und zusammen führen sie das Label A NUK . Die beiden haben sich vorgenommen, Musik und bildende Kunst konsequent in Zusammenhang zu stellen. Sie wollen auf ihrem Label A NUK die zwei Kunstformen gleich stark vertreten wissen. So, wie sie das bei Amygdalaproject, ihrer ersten gemeinsamen Veröffentlichung umgesetzt haben, wo sich der visuelle Auftritt im gleichen Zug mit der Musik entwickelt hat. Die Gestaltung der CD-Hülle beispielsweise wurde nicht in einem zweiten Schritt auf die Musik folgend ausgeführt, sondern sie entstand gleichzeitig mit den Kompositionen. Die zwei Kunstschaffenden stehen in ständigem Austausch, und dieser Austausch zieht sich hin bis zu den Visuals am Konzert, wo Musik und Bild in einem live Setting aufeinandertreffen. Das ist an sich nichts Neues, es gab schon immer die Plattenhüllen und CD-Booklets, die für sich Kunstwerke waren, oder die Konzerte, wo die Projektionen das musikalische Erlebnis intensivierten. In Zeiten, wo die physikalischen Tonträger eher einen schweren Stand haben, lassen aber viele Bands der visuellen Umsetzung ihrer Musik wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen. Als Musikhörerin, die wegen ihres permanent eher schlecht informiert-seins durchaus eine Plattenhülle entscheiden lässt, ob die dazugehörende Musik nun ein Ohr bekommt oder nicht, kann ich solches nur begrüssen. Dazu kommt, dass es einfach schön ist, zu einem Tonträger auch etwas zum Lesen, oder Anschauen zu bekommen.

Die Idee zum Amaygdalaproject  kam Lukas Thoeni beim Lesen eines Artikels über die Gehirnforschung. Was im allgemeinen an der aktuellen Gehirnforschung besonders gefällt ist, dass sie den freien Willen zu relativieren scheint. Das nimmt uns etwas aus der Verantwortung. Wir stellen fest, dass wir zu einem nicht geringen Teil noch regelrechte Dinosaurier sind: Fressen, Paaren, Schlafen – auch wenn die kulturellen Schnörkel, die darüber liegen das ursprünglichste Motiv nicht mehr so klar erkennbar sein lassen. Jedenfalls ist die Amygdala ein Teil unseres Gehirns, der zwischen unserem Dino-Gehirn und dem evolutionär gesehen neueren Primaten-Gehirn liegt und sie dient als Schaltstelle dazwischen. Sie ist primär für die Angst verantwortlich – unsere Alarmanlage, die blitzschnell funktioniert. Sie bearbeitet allerlei Sinneseindrücke und verknüpft sie mit Emotionen, wägt so ab, wie wichtig ein Eindruck für uns ist und ob er allenfalls gespeichert sein sollte, und sie lässt uns schliesslich auf gewisse Schlüsselreize ziemlich dino-mässig reagieren: Panik, Aggression oder auch der Sexualtrieb können durch sie beeinflusst sein.

Es ist also ein gut gewählter Aufhänger, wenn man sich mit Emotionen beschäftigen will. Mit starken Eindrücken, die unseren Puls in die Höhe schnellen lassen und unser schickes Grosshirn erst einmal auf Pause stellen. Nach dem Lesen des Artikels reifte bei Lukas Thoeni die Idee heran, Emotionen in Musik und Bild umzusetzen.

Dazu hat Nicole Pfister die Musiker der Band nach besonders eindrücklichen Erlebnissen befragt, diese Geschichten aufgeschrieben und in Bilder umgesetzt. Lukas Thoeni komponierte ausgehend von den Texten die Musik. Aus beidem ist etwas Eigenständiges geworden, das aber auch im Zusammenhang funktioniert. Lukas Thoeni komponiert und spielt einen Jazz, der leicht zugänglich, aber nie anbiedernd ist. Stilistisch breit gefächert, spielt er locker wie es scheint mit den verschiedensten musikalischen Einflüssen. Ganz klar profitiert das Projekt von den glänzenden Musiker, die wohl noch zum Nachwuchs gehören, aber ihren eigenen Klang längst gefunden haben – so wirkt es nie beliebig. Man hört nicht irgendeinen Schlagzeuger sondern Rico Baumann und nicht irgendeinen Pianisten, sondern Beni Külling, ebenso bei Nikolai Karagorgiev an der Gitarre und André Pousaz am Bass. Das funktioniert live, wie ab Konserve. Spannend ist auch die visuelle Umsetzung, sei es bei den Live-Visuals, die Nicole Pfister sehr ruhig gestaltet, so dass sie nicht mit der Musik konkurrieren, oder beim Booklet, das die Musiker in schwarz-weiss Aufnahmen zeigt, die mit Illustrationen versehen sind. Weiss man, dass dahinter jeweils Erlebnisse der Musiker stehen, gleicht es schon einem Bilderrätsel: Was zum Geier hat Beni Külling da erlebt, wie geht es dem Herzen von Rico Baumann, und was hat es mit dem Spielplatz im Dazwischen von André Pousaz auf sich?

Nicole Pfister und Lukas Thoeni ist eine schöne Arbeit gelungen, die in ihrer klaren Ausrichtung ein in sich geschlossenes Ganzes bildets, dabei aber immer sinnlich und kreativ bleibt.

Written by lottimoa

März 2, 2011 um 5:54 pm

Veröffentlicht in Musik, Portraits

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